Woran liegt das aus Ihrer Sicht?
Dass die Darstellung ökologischer Nachhaltigkeitsaspekte bislang die Berichterstattung und Öffentlichkeitsarbeit bestimmt, mag darin begründet sein, dass diese Aspekte auch im Mittelpunkt der öffentlichen Auseinandersetzung stehen. Die soziale Dimension steht im Schatten dieser Diskussion. Aber auch im Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK), der die Grundlage für eine Nachhaltigkeitsberichterstattung liefert, findet sich keine Rubrik, unter der die sozialen Leistungsbeiträge der Sozialwirtschaft für die Gesellschaft explizit thematisiert werden. Da werden zwar Sozialleistungen in Bezug auf die eigenen Mitarbeitenden abgefragt, aber nicht die Leistungen aus dem eigentlich Kerngeschäft der Diakonie: für Kinder, Pflegebedürftige, Kranke und die vielen weiteren Hilfesuchenden. Diese Lücke gilt es in der Nachhaltigkeitsberichterstattung der Diakonie zu füllen.
Und wo stehen derzeit die Kirche und ihre Einrichtungen, für die die Berichtspflicht ja in den allermeisten Fällen nicht einmal ansteht?
Hier gab es in den letzten Jahren ein großes Engagement hinsichtlich der Datensammlung. Ausgehend von Initiativen von EKD und Landeskirchen und dem Anspruch „Bewahrung der Schöpfung“ wurden in den kirchlichen Unternehmen bereits wichtige Voraussetzungen geschaffen, um den Ressourcenverbrauch und die Maßnahmen für den Klimaschutz und die Anpassung an den Klimawandel zu erfassen. Zu nennen sind hier die Initiativen „Grüner Hahn“ oder die Unterstützung lokaler Gemeinden bei der Erfassung der Ressourcenverbräuche durch das „Grüne Datenkonto“. Was die sozialen Aspekte der Nachhaltigkeit betrifft, gibt es hier allerdings das gleiche Phänomen wie in der Diakonie: eine Zurückhaltung, aufzuzeigen, was die kirchlichen Leistungen tatsächlich alles Gutes bewirken.
Heißt das: Die Herausforderung einer Nachhaltigkeitsberichterstattung könnte auch zwecks Imagepflege genutzt werden?
Klares Ja. Sie ist eine Chance, herauszustellen, wie deutlich sich Kirche zu ökologischer Nachhaltigkeit verpflichtet und was Kirche im Sozialen konkret leistet. Die ökologischen Ziele, die die Synoden ausgegeben haben, sind nicht durch gesetzliche Vorgaben motiviert, sondern finden ihre Begründung in einem christlichen Welt- und Menschenbild und stehen im Einklang mit dem Kurs der Europäischen Union: Beispielsweise zielen die kirchlichen Unternehmen darauf, die Treib-hausgasemissionen bis 2035 um 90 % zu senken, danach jährlich um einen weiteren Prozentpunkt. Ein weiteres Ziel ist das Erstellen einer EKD-Klimabilanz mit sehr konkreten Vorgaben für die Landeskirchen und nach einem standardisierten Schema. Voraussetzung hier ist ebenfalls eine systematische Datenerfassung. Auf Kirchenkreis- und Landesebene wurden außerdem Stellen für Umweltbeauftragte geschaffen. In einzelnen Kreisen wird bereits ein fester Prozentsatz der Haushaltsmittel für klimapolitische Maßnahmen abgestellt …
Zurück zum sozialen Aspekt von Nachhaltigkeit. Wie lässt sich der überhaupt messen?
Eine etablierte Methode untersucht vier Aspekte: 1. Welcher Aufwand wird erbracht, also wie viel Personal, welche Gebäude und welche Ressourcen werden aufgewendet (Input)? 2. Welche Angebote resultieren daraus, beispielsweise Pflegeplätze oder Krankenhausbetten (Output)? 3. Was wird damit bei den Zielgruppen bewirkt, konkret: Wie viele Jugendliche werden in den Arbeitsmarkt integriert (Outcome)? 4. Inwiefern gelingt es mit den Leistungen, ein gesellschaftlich virulentes Problem zu lösen, beispielsweise die Alterseinsamkeit (Impact)? Mit den ersten drei Aspekten haben wir uns bereits in unseren aktuellen Projekten intensiver auseinandergesetzt, wobei manche Kennzahlen schwer zu erfassen sind. Der DNK-Leitfaden bietet im Abschnitt Produkt- und Innovationsmanagement geeignete Anhaltspunkte, um die so erfassten sozialen Leistungsbeiträge transparent abzubilden.
Inwiefern können Unternehmen in Kirche und Diakonie ihr Engagement für die soziale und ökologische Nachhaltigkeit transparenter machen?
Konkret bietet der DNK-Leitfaden für die Freie Wohlfahrtspflege eine gute Orientierung für einen systematischen Nachhaltigkeitsbericht, der zudem auch die gesetzlichen Anforderungen erfüllt. Aus bisherigen Projekten in Kirche und Diakonie lässt sich festhalten: An diesem Leitfaden können sich gerade auch Einsteiger sehr gut orientieren. Er zeigt auf, wie Nachhaltigkeit strategisch verankert werden kann, welche Managementprozesse angepasst werden sollten und wie die ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitsleistungen abgebildet werden können. Gerade für die diakonischen Unternehmen ist er auf dem Weg zur Nachhaltigkeitsberichterstattung sehr nützlich, selbst wenn sich einige Schlussfolgerungen nicht einfach umsetzen lassen – Stichwort: Investitionen in die energetische Ertüchtigung von Gebäuden, für deren Refinanzierung die Politik erst noch die entsprechenden Rahmenbedingungen schaffen muss. Außerdem gibt der Leitfaden wertvolle Impulse, wo Sozialunternehmen besser werden können.
Welche zum Beispiel?
… den Impuls zu prüfen, wo sie bei ihren Leistungen für die eigenen Mitarbeitenden und hinsichtlich der Wahrnehmung als attraktiver Arbeitgeber stehen und wo Handlungsbedarf besteht. Gemäß gesetzlicher Anforderungen und DNK-Leitfaden sollen die diakonischen Unternehmen berichten, welche Leistungen sie für ihre Mitarbeitenden erbringen. Hier geht es um soziale Aspekte wie die Einhaltung der Arbeitnehmerrechte, wie Mitbestimmung und Arbeitsschutz, Chancengerechtigkeit, zu denen unter anderem Diversität, flexible Arbeitszeiten und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zählen, sowie Maßnahmen der Qualifizierung. Ein Nachhaltigkeitsbericht bietet diakonischen Unternehmen Anknüpfungspunkte, jene Merkmale herauszustellen, die die eigene Arbeitgeberattraktivität untermauern. Sie können hier zeigen, welche Erfolge sie in puncto Zufriedenheit und Bindungsbereitschaft der Mitarbeitenden bereits generiert haben.
Inwiefern zeigt der Leitfaden auch Lücken bei der ökologischen Seite von Nachhaltigkeit auf?
Wir haben in den Sozialunternehmen viele Daten, die den Ressourcenverbrauch erfassen, aber die Übertragung in eine CO2-Bilanz ist schwierig. Im Markt gibt es verschiedene Anbieter, die Unternehmen branchenspezifisch dabei unterstützen. Die EKD bietet den Landeskirchen in Kooperation mit der Forschungsstätte der Evangelischen Studiengemeinschaft e. V. bereits eine Erfassungs- und Ermittlungsmethode an. In der Diakonie gibt es ein vergleichbar von zentraler Stelle koordiniertes Vorgehen meines Wissens bislang noch nicht. Aber es gibt erste Piloten und Angebote, die dabei helfen, CO2-Bilanzen mit Fokus auf die Immobilien oder die spezifischen Anforderungen eines Krankenhauses zu erstellen.
Klingt nach einem großen Aufgabenpaket, um im Sinne einer Nachhaltigkeitsberichterstattung beziehungsweise eines Nachhaltigkeitsmanagements voranzukommen! Wie gehen Kirche und Diakonie dies am besten an – vor allem schnell und bald?
Ganz wichtig sind meiner Ansicht nach Vernetzung, Austausch und ein moderiertes Benchmarking, also das Lernen von den Besten und von gelungenen Beispielen. Das ist, wie bereits gesagt, auf der ökologischen Seite leichter, aber auch für die sozialen Leistungsbeiträge im Kerngeschäft von Kirche und Diakonie sowie das Personalmanagement und vieles mehr möglich. Es gab und gibt viele entsprechende Plattformen für den Austausch, die unter anderem auch die KD-Bank anbietet.
Vielen Dank, Herr Professor Kring.